Samstag, 18. Oktober 2014

Kulturschock rückwärts. Der letzte Eintrag!


Frischgebackene Freiwillige, kurz vor dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts, nichts
erwartend, werden immer wieder vor dem Kultur-Schock gewarnt, der sie im Gastland erwarten würde. Ich habe nun schon über vier Wochen als Ehemaliger in Deutschland verbracht und muss aus meiner Erfahrung heraus sagen: der richtige Schock, der kommt erst bei der Rückkehr. Es sind nicht fremde Sprachen, die man nicht versteht, sondern die Muttersprache, die man nicht mehr hören kann. Es sind nicht Andersgesinnte und fremde Denkweisen, sondern die ursprünglich vertrauten Tugenden, die man nicht mehr nachvollziehen kann. Ich bin der Unverstandene, der etwas Andere, gleichzeitig der langsam Begreifende und sich Wehrende. Ich gehe Umwege, die andere nicht anerkennen, weil sie sich die Zeit nicht nehmen wollen und aufs Abkürzen fixiert sind. Der, der im Jetzt lebt und nicht zu weit voraus plant - ich bin umso freier, lebe das Leben mit ein bisschen Utopie. Ich kann nichts schlechtes daran finden!
Das sind alles kleine Notizen aus meiner Gedankenwelt, die dabei ist, diesen Rückwärts-Schock zu verarbeiten und gleichzeitig was neues zu integrieren. Auf dem Rückkehrer-Seminar in Tübingen stand das so konkret gar nicht auf dem Plan, aber war hintergründig eigentlich immer Thema. Das Seminar hat mir sehr geholfen, eine gewisse innere Ordnung wiederherzustellen, die Tage davor waren recht dunkel. Gleichgesinnte, in vielen Punkten vom selben Schlag, die einen verstehen und die verstanden werden. Wo sonst, wenn nicht auf dem Rückkehrseminar? Die Tage waren echt schön! Aber auch das war irgendwann zuende.


Inzwischen habe ich mich mit meiner Rolle etwas mehr angefreundet, auch wenn immer noch vieles den Bach runter geht. Das werde sich bessern, wurde mir gesagt, und das wird es vielleicht auch, aber deswegen will ich diese Mini-Depression trotzdem festhalten als etwas besonderes. Nach dem Motto: Die Welt ist schlecht, aber das Leben ist eigentlich schön!

Ich möchte dazu ein Stück Poesie teilen, das uns als "Kompass" mit auf den Weg gegeben wurde; das ich erst blöd fand, aber mir erst nach einer Weile die Wahrheit darin bewusst wurde.


Peter Handke: Geh über die Dörfer
Spiele das Spiel. Gefährde die Arbeit noch mehr. Sei nicht die Hauptperson. Such die Gegenüberstellung. Aber sei absichtslos. Vermeide die Hintergedanken. Verschweige nichts. Sei weich und stark. Sei schlau, laß dich ein und verachte den Sieg. Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen. Sei erschütterbar. Zeig deine Augen, wink die anderen ins Tiefe, sorge für den Raum und betrachte einen jeden in seinem Bild. Entscheide nur begeistert. Scheitere ruhig. Vor allem hab Zeit und nimm Umwege. Laß dich ablenken. Mach sozusagen Urlaub. Überhör keinen Baum und kein Wasser. Vergiß die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen, weich aus in die Menschenleere, pfeif auf das Schicksalsdrama, mißachte das Unglück, zerlach den Konflikt. Bewege Dich in deinen Eigenfarbenbis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird. Geh über die Dörfer. Ich komme dir nach.


Ich habe es mir jetzt erst wieder durchgelesen, nachdem ich bei einer Schulveranstaltung als "weltwärts-Vertreter" aufgetreten bin und mich beinahe in Extase geredet habe. Das Erzählen über meinen Freiwilligendienst begeistert mich immer; bringt mir für eine kurze Zeit diesen gewissen Spirit zurück und erinnert mich daran, dass all die Geschichten mich zu der Person gemacht haben, die ich heute bin. Und trotz aller Erzählungen weiß niemand, wie es sich angefühlt und was alles dazugehört hat. Nicht das Oberflächliche, sondern der geistige Prozess ist schuld daran, dass ich mich oft unverstanden fühle, manchmal auch einsam.


Ich wollte noch von meinen letzten Tagen in Südafrika berichten, die sehr intensiv und wunderschön waren, aber ich halte es jetzt doch für überflüssig; vielen von euch habe ich ja auch so schon davon erzählt. Ich will auch diesen Blog jetzt abschließen, obwohl mir noch das verpflichtende Engagementkolleg bevorsteht von dem ich berichten könnte, aber ich halte das nicht mehr für relevant. Mir hat das Schreiben und Bloggen sehr viel Spaß gemacht und hat mir durch euch auch viel für die Mühe zurückgegeben. Irgendwann werde ich das nochmal in ähnlicher Form machen, das steht für mich fest. Was jetzt für die Zukunft ansteht kann ich noch gar nicht so genau sagen. Ich habe jetzt einen Job gefunden und möchte irgendwann studieren. Aber ich habe was gegen diesen Determinismus: "... hab Zeit und nimm Umwege... Scheitere ruhig... Spiele das Spiel...". Aus manch einer Sicht könne ich es damit angeblich nicht weit bringen, würde zu keinem "anständigen Mann" werden, könne (meinem ach so geliebten) Deutschland keinen besonderen Dienst erweisen - "... zerlach den Konflikt.", sorry, ich kann das nur komisch finden. Natürlich will ich irgendwann eine Richtung einschlagen, mich evtl. auf etwas festlegen, aber dann will ich auch voll dahinter stehen, ich "Entscheide nur begeistert"! Vor einem Jahr war das freilich noch ganz anders, da hatte ich noch andere Vorstellungen davon, worauf es mir in meinem Leben ankommen soll. Denn genau das lasse ich mir jetzt nicht mehr von irgendeinem System sagen. Ich bin "weich und stark", ich gestalte das in "Eigenfarben" und man darf mir vertrauen: ich mach das schon. Und Zeit verschwenden tue ich auch nicht, ich mache sie viel eher noch wertvoller. Ach ich muss hier jetzt erst mal wieder ankommen, irgendwie.

Eigentlich hatte ich im letzten Absatz auch schon dazu angesetzt, mich zu bedanken, also:

DANKE! DAFÜR, ...
... dass ihr als LeserInnen dieses Blogs und meiner Rundmails Teil meines Auslandsjahrs wart und dass ihr euch überhaupt die Zeit dafür genommen habt!
... dass ihr auch aktiv geworden seid und mir geschrieben habt, mir Feedback und Ratschläge gegeben habt und mich auch an eurem Alltag ein bisschen habt teilhaben lassen!
... dass ihr euch finanziell am Sabantwana-Spendentopf (klicken für eine Übersicht der Projekte) beteiligt habt und mir, den Kindern und allen anderen mit ganz wenig schon so viel ermöglicht habt!
... dass ihr in eurem Bekanntenkreis durch mich Impulse gegeben habt durch Erzählungen und dass ihr den Freiwilligendienst damit beworben habt!
... - das Beste kommt zum Schluss! - dass MEIN FÖRDERKREIS vor bald 19 Monaten mit Spenden zu diesem unschätzbar wertvollen Schritt meines Lebens beigetragen hat und somit ein wichtiger Teil meines Auslandsjahrs war!

Ich hoffe, das Lesen hat auch euren Horizont ein wenig erweitert, euch für die Sache begeistern können und euch auch ein wenig unterhalten! Ich hoffe auch, dass der Blog für die Zukunft immer wieder neuen Freiwilligen helfen wird, die vor ihrer Ausreise viel Zeit mit Ehemaligen-Berichten verbringen, denn das ist in der letzten Generation scheinbar ganz gut gelungen. ;)

Ihr müsst bei Gelegenheit auch unbedingt mal auf dem Blog meines Nachfolgers vorbeischauen! Baki leistet Großes dort unten, ihr findet seine Berichte hier: http://bakikaban.jimdo.com/

Ab hier wird sich nun eine dicke Staubschicht auf meinem Freiwilligendienst absetzen, aber ich werde ihn immer mal wieder in der Kiste auf dem Dachboden besuchen kommen und das Gefühl neu aufleben lassen.


So long:
Sala kakuhle, baibai!


Lukas

17 Kommentare:

  1. wunderschön geschrieben :))

    AntwortenLöschen
  2. Sehr interessant! Danke! Gehe nächstes über die Freunde ins Ausland und dein Blog hilft einem sehr! :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hey, schön zu hören!
      Ich wünsche dir viele tolle Eindrücke und ein spannendes Jahr mit den Freunden. Show must go on! ;)

      Löschen
  3. Hey:)
    Mein Name ist Anni und ich bin 17. Dein Blog ist wirklich gut. Ich habe vor, mich diesen Sommer auch für weltwärts zu bewerben, ich hoffe sehr, dass es klappt.
    Wenn du Zeit und Lust hast, wäre es cool wenn du mir noch ein paar Tipps geben könntest :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hi Anni!
      Gute Entscheidung, willst du dich dann für eine Ausreise 2017 bewerben?
      Dann bist du auf jeden Fall früh genug dran. ;)
      Du kannst mich über das Google-Konto kontaktieren oder du hinterlegst beim nächsten Kommentar deine E-Mail-Adresse, dann werde ich dir schreiben.

      Alles Gute & viele Grüße,
      Lukas

      Löschen
    2. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

      Löschen
    3. Die E-Mail-Adresse habe ich zu deinem Schutz zensiert. Bekommst eine Nachricht. ;)

      Löschen
    4. Hallo!
      Ich möchte auch ab Herbst 2017 mit weltwärts nach Südafrika und bin mir leider noch sehr unentschieden. ist es möglich, dass wir Kontakt aufnehmen? Das würde mich sehr bereichern!
      mariamooz@web.de
      Danke und liebe Grüße!
      Maria

      Löschen
    5. Hallo Maria, ich hab dir vor einer Weile gemailt. Vielleicht liest du das und schaust mal im Spam-Ordner oder so. ;)

      Löschen
  4. Oh danke, hab ich erst jetzt gesehen! :)

    AntwortenLöschen
  5. Ich habe gestern und heute deinen Blog komplett durchstöbert und möchte einfach "Danke" sagen :)

    Danke für:
    -die Informationen
    -dass du mich in miner Entscheidung weltwärts gehen zu wollen bestärkt hast
    - und natürlich den Spaß, den ich beim Lesen hatte;)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Gern geschehen und danke für das Feedback! :)

      Erstaunlich, wie lange dieser Blog noch nachwirkt.

      Hab eine schöne und bewegte Zeit - vielleicht begegnet man sich einmal irgendwo draußen in der weiten Welt!

      Löschen
  6. Wer weiß ;)
    "Die Welt ist klein und wir sind groß" ~ Mark Forster

    AntwortenLöschen
  7. Danke für deine Erzählungen. Hat mich sehr inspiriert und ich könnte stundenlang deine Texte lesen - du schreibst sooo gut! Ich wünsche dir, dass du gerade das tun kannst, was dich erfüllt und glücklich macht, viele Grüße, Clara

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Clara,
      danke für das Lob und den guten Wunsch, ich kann mich momentan wirklich nicht beklagen. :) Ich könnte umgekehrt auch noch stundenlang schreiben, aber mir fehlt es ein bisschen an der Zeit. Ab und zu tauche ich noch im Blog des Stadtjugendrings Augsburg auf: http://zwischen-schule-und-beruf.blogspot.fi/2015/09/workaway-in-israel-zuhause-am-makhtesh.html

      Dir auch alles Gute,
      Lukas

      Löschen
  8. Normalerweise fühlen sich die meisten Menschen in der Muttersprache am wohlsten, weil man dort neben dem Vokabular auch die Rhetorik beherrscht. Aber hin und wieder spreche ich auch gerne Fremdsprachen.

    AntwortenLöschen
  9. Hi Jasmin,

    klar, in jeder Sprache gibt es Dinge, die man in der Übersetzung nicht genau so ausdrücken kann. Vor allem nicht spontan und als Lernende/r. Aber mit einiger Erfahrung schafft man es zumindest, ein "Wohlfühllevel" zu erreichen, auf dem man auch über komplexere Themen wie bspw. Emotionen auch ohne großes Überlegen sprechen kann. Das kommt ganz auf die Zeit und Intensität des Kontakts mit der Fremdsprache an :)

    AntwortenLöschen

Sag was dazu! "Kommtieren als": Anonym oder Name / URL.